Zeitreise: Generalsanierung Gasteig Kulturzentrum - Cloned
„Kann es wirklich so einfach sein?“ – Wie effektiv der minimale Eingriff ist, den wir im Wettbewerb für die Generalsanierung des Gasteigs in München vorgeschlagen haben, hat uns zunächst selbst überrascht.
Europas größtes Kulturzentrum war zum Zeitpunkt der Ausschreibung seit Jahrzehnten ein fest in der Stadtgesellschaft verankerter und identitätsprägender Ort in der bayrischen Metropole und nun sanierungsbedürftig geworden. Seit seiner Eröffnung 1984/85 vereinte der Gasteig ganz unterschiedliche Kulturinstitutionen, die Alt und Jung, Hoch- und Populärkultur zusammenbrachten: Menschen, die für ihr Musikstudium proben, ein Konzert in der Philharmonie besuchen oder in der Bibliothek in Comics schmökern. Ein Ort des Zusammenhalts, der alle Facetten der Kultur abdeckt – und wo der Direktor der Volkshochschule jeden Morgen einem Obdachlosen die Tageszeitung hinunterbrachte.
Es war schnell klar, dass wir uns am Wettbewerb beteiligen und eine Zukunftsvision für diese Ikone entwickeln, die viele Kolleg*innen in unserem Münchner Büro schon als Kinder selbst besucht hatten. Die Frage, die wir uns gestellt haben, war: Wie muss sich das Gebäude transformieren, um den gesellschaftlichen und technologischen Wandel zu begleiten – ohne seine Identität zu verlieren?
Entworfen wurde der Gasteig Anfang der 1970er Jahre von Raue, Rollenhagen, Lindemann und Grossmann. Seither haben sich nicht nur bauliche Standards weiterentwickelt, sondern vor allem die Gesellschaft selbst. Seit jeher ist die Kultur ein Spiegel der Gesellschaft. Während der ursprüngliche Entwurf aus einer Zeit stammt, die vom passiven Kulturgenuss geprägt war, brauchen wir heute Kulturorte für eine aktive Teilhabe, Räume, die Diversität und Inklusion fördern. Bauten, die der integrativen Kraft von Kultur in der Gesellschaft Raum geben.
Die Architekten des bestehenden Baus haben einen geschützten Raum für die Kultur hinter weitgehend geschlossenen roten Klinkermauern entworfen, dem aber die Idee zugrunde liegt, eine Verbindung ganz unterschiedlicher Institutionen zu schaffen. Ein Gebäude wie ein kleines Dorf. Diese Idee fanden wir auch heute noch relevant: vielleicht sogar noch mehr als damals. Wir mussten deshalb nichts neu erfinden – wir haben uns vorgenommen, diese Idee weiterzuentwickeln, zu stärken und in die Zukunft zu führen, den festungsartigen Bau in einen offenen, zugänglichen Ort zu transformieren. Unsere Lösung war einfach: den Bestand erhalten und nur einen minimalen Eingriff vornehmen, die „Kulturbrücke“. Der gläserne Riegel ist wie das fehlende Puzzlestück in das Gebäude eingeschoben. Die Kulturbrücke erweitert die von den Institutionen gemeinsam genutzten Flächen im Inneren und fördert dadurch deren Zusammenarbeit sowie soziale Interaktion zwischen den Besucher*innen. Ihre radikale Transparenz öffnet den Gasteig nach außen hin und lädt die Stadtgesellschaft ein. So entsteht eine ganz neue Art städtischen Raums, der gleichzeitig nach innen und außen wirkt.
Neben dem gestiegenen Wunsch der aktiven Teilhabe am Kulturgeschehen hat sich auch das gesellschaftliche Bewusstsein über Nachhaltigkeit verändert. Im Rückblick waren wir in dieser Hinsicht der Zeit voraus: Anders als die meisten eingereichten Entwürfe haben wir vorgeschlagen, die Substanz so weit wie möglich zu erhalten: nicht nur die Tragstruktur, auch die Hülle. Eine in diesem Maße ressourcenschonende Lösung war damals noch nicht selbstverständlich.
Dass unser Entwurf die Jury im Wettbewerb schließlich überzeugt hat, zeigt: Ja, die Lösung war wirklich so einfach.
Unsere Expertise mit großen und komplexen Industriebauten sowie der Phase 0, die wir Programming nennen, kam uns bei diesem herausfordernden Projekt zugute. Nach dem Wettbewerbsgewinn haben über ein halbes Jahr hinweg intensiv mit Nutzervertreter*innen, Stakeholdern und Politik gemeinsam daran gearbeitet, den Entwurf noch besser zu machen. Doch der Gasteig verlangt mehr als technisches Know-how – er erfordert von uns den Mut, bewährte Ansätze mit neuen Herausforderungen zu verbinden. Das Projekt hat unseren Horizont erweitert, vom Industriebau zur Kultur, von Effizienz zu Emotion. Das machte den Gasteig von Beginn an zu einem Schlüsselprojekt für HENN. So wie wir seit drei Generationen den Wandel der Gesellschaft begleiten, entwickeln wir uns mit diesem Projekt auch als Architekturbüro weiter.
Seit dem Wettbewerb sind einige Jahre vergangen, in denen insbesondere wegen der erfolglosen Suche nach einem Investor sowie steigender Baukosten durch die globalen Krisen noch nicht mit dem Bau begonnen werden konnte. Aktuell wird seitens der Stadt München ein Partnering-Verfahren vorbereitet. Trotz der Verzögerungen bleibt unser Optimismus ungebrochen.
Erinnerungen von Martin Henn, Design Principal und Managing Director, Andreas Fuchs, Head of Programming und Senior Associate, und Armin Nemati, Design Director Berlin und Senior Associate
Dieser Text erschien zuerst in wettbewerbe aktuell im Juli 2025.